Schottlands Unabhängigkeit
Am 18. September 2014 hat Schottland über die Unabhängigkeit des Landes von England abgestimmt. Mit dem Ergebnis, dass die Idee eines unabhängigen Schottlands verworfen wurde. Die Gegner der Unabhängigkeit, die Kampagne „Better together“, setzte sich mit 54 zu 46 Prozent gegen die Befürworter durch. Der Gedanke der Unabhängigkeit war für Schottland nicht neu, schließlich gab es seit dem Act of Union 1707, der Schottland und England miteinander vereinte, Kräfte im Land, die nach Unabhängigkeit streben. Wäre die Frage nach der Unabhängigkeit Schottlands von England im September mehrheitlich mit „Ja“ beantwortet worden, hätte dies zum Unabhängigkeitstag im April 2016 nach 309 Jahre endlich eine Loslösung von England bedeutet.
Was zunächst romantisch klingt und den Schottland-Fan an Braveheart denken lässt, ist aber eine sehr vielschichtige Entscheidung von großer Reichweite. Schon vor der Wahl haben wir hier die wichtigsten Informationen zusammengetragen, um einen kurzen Überblick über das Thema zu geben, der als Einführung gedacht war. Am Ende der Seite finden Sie weiterführende Lektüre und Links.
Mehr darüber erfahren Sie auf unseren Seiten zur Geschichte von Schottland und zur Geschichte von England. Für weitere Informationen zu den politischen Strukturen auf der Insel, besuchen Sie unsere Seite Großbritannien.
Der Termin, an dem Schottland über die Unabhängigkeit entschieden hat, war nicht willkürlich festgelegt: Das Jahr hatte für die Schotten eine große Bedeutung, jährte sich doch 2014 die Schlacht bei Bannockburn zum 700. Mal. Damals errang Robert the Bruce einen entscheidenden Sieg gegen das übermächtige englische Heer unter Eduard II. Wäre es am 18. September 2014 gelungen, eine Mehrheit für Schottlands Unabhängigkeit zu gewinnen, hätte es auch schon einen möglichen Termin für die Unabhängigkeitserklärung gegeben: den 21. März 2016.
Auch dieses Datum wurde natürlich mit Bedacht gewählt. Dann ist es auf den Tag genau 413 Jahre her, dass in der „Union of the Crowns“ die Kronen von England und Schottland vereint wurden. An diesem Tag im Jahr 1603 beerbte nämlich der schottische König Jakob VI. die kinderlose englische Königin Elisabeth I. und führte damit in Personalunion die schottische und die englische Krone zusammen.
Schottlands unermüdlicher Kampf um Unabhängigkeit
In Anbetracht der Vergangenheit der beiden Länder wundert es nicht, dass es in Schottland schon lange Bestrebungen gab, die Unabhängigkeit von England wieder herzustellen. Spätestens seitdem man vor der Küste von Schottland erhebliche Öl- und Erdgasvorkommen entdeckt hat. Weil die daraus erwirtschafteten Einnahmen auf direktem Wege nach London gehen, erwachte der Ruf nach einer ökonomischen Autonomie des Landes, die es ihm erlauben würde, die Einnahmen selbst zu verwalten. Bereits 1974 wurden im gleichen Atemzug Forderungen nach einer Regionalregierung in Form eines eigenen schottischen Parlaments laut, doch bis 1997 konnten die Nationalisten nicht die erforderliche Mehrheit dafür erringen. Nach dem Wahlsieg 1997 jedoch wurde die „Devolution“, also die beschränkte Selbstverwaltung, in Form eines schottischen Regionalparlaments Wirklichkeit.
Der SNP, der Scottish National Party, war das jedoch nicht genug. Sie wollte Schottlands vollständige Unabhängigkeit und warb schon 2010 ausdrücklich mit dem Referendum als Wahlziel. Ein erster Versuch für eine Abstimmung scheiterte jedoch 2011. Erst als die SNP bei den schottischen Parlamentswahlen 2011 eine absolute Mehrheit erhielt, konnte ein Termin festgelegt werden: der 18. September 2014.
Der erste Gesetzesentwurf mit dem Schottland über die Unabhängigkeit abstimmen wollte, sah drei verschiedene Szenarien für die Zukunft von Schottland vor. Im ersten Szenario sollte das schottische Parlament lediglich die Zuständigkeit für „alle Gesetze, Steuern und Pflichten in Schottland“ übertragen bekommen. Im zweiten wären die Befugnisse des schottischen Parlaments auf zusätzliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Finanz- und Steuerbereich ausgeweitet worden.
Das dritte Szenario sah dann Schottlands vollständige Unabhängigkeit vor. Damit wäre Schottland zu einem Land geworden, das „die Rechte und Verantwortlichkeiten eines normalen souveränen Staates“ gehabt hätte. Da Schottland jedoch nicht über die rechtliche Kompetenz verfügte, ein solches Referendum abzuhalten, wurde die Abstimmung auf eine einfache Ja-/Nein-Frage für oder gegen die Unabhängigkeit gekürzt: „Do you agree that Scotland should be an independent country?” Weil man jedoch eine Beeinflussung im Sinne eines Ja-Votums befürchtete, wurde die Frage schließlich auf die Form abgewandelt, die im September 2014 zur Abstimmung stand: „Should Scotland be an independent country?“ Sollte Schottland ein unabhängiges Land werden?
Argumente rund um Schottlands Unabhängigkeit
Ja, sagten die Scottish National Party, die Scottish Green Party und die Scottish Socialist Party und auch Schauspieler Sean Connery befürwortete Schottlands Unabhängigkeit in der Öffentlichkeit. Sie wollten, dass Schottland Entscheidungen, die das Land betreffen, alleine treffen kann. So zum Beispiel über eine Mitgliedschaft in der NATO, über die Stationierung britischer Atomwaffen in Schottland, über Kriegseinsätze oder die Einnahmen aus der Ölförderung („It’s Scotland’s oil!“). Nein, sagten unter anderem die Labour Party, die Conservative Party und die Liberal Democrats. Sie betonten immer wieder, gemeinsam sei man stärker und die historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten sowie verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen Engländern und Schotten schlössen eine Unabhängigkeit aus.
Darüber hinaus betonten die Gegner immer wieder, dass Schottland aus der Unabhängigkeit nur wirtschaftliche Nachteile erwachsen könnten. So hätte das Land viel Geld in ein eigenes Sozialsystem stecken müssen, weil es dann nicht länger auf Leistungen aus England, wie zum Beispiel den National Health Service (NHS), hätte zurückgreifen können. Weitere Kosten wären durch den Aufbau eigener Institutionen und eines eigenen Heeres hinzu gekommen.
Ungeklärt war darüber hinaus, welche Staatsform das neue, unabhängige Schottland angenommen hätte, ob es weiterhin Teil des Königreichs von Großbritannien und Irland geblieben wäre, ob sich das neue Schottland für einen Beitritt zur EU hätte bewerben müssen (oder wollen) und welche Währung zukünftig Gültigkeit gehabt hätte. Die Frage der Währung schien dabei immer mehr zum Zünglein an der Waage zu werden, denn der britische Schatzkanzler George Osborne kündigte im Februar 2014 an, im Falle einer Loslösung Schottlands von England dem nördlichen Nachbarn die Währungsunion mit England zu verweigern. Damit wäre die Verwendung des britischen Pfunds in Schottland ausgeschlossen gewesen. (Lesen Sie dazu unseren Artikel Währung Schottland).
In Anbetracht dessen wurde es für Schottland immer schwerer, für die Unabhängigkeit zu werben, denn auch der Beitritt zum Euro hätte mindestens zwei Jahre gedauert und eine eigene Währung hätte erfordert, ausländische Währungsreserven aufzubauen, was wiederum mit sehr schmerzhaften Einsparungen verbunden gewesen wäre. Zusätzlichen Druck übte der britische Premier David Cameron (selbst Schotte) aus, der seinen Landsleuten im Norden mehr Freiheiten versprach, wenn sie sich gegen die Unabhängigkeit Schottlands aussprächen. Jedem Wähler müsse klar sein, dass Schottland nur bei einem Verbleib im Königreich größere Autonomie bekommen könne, sagte er in Glasgow. Ein „Nein“ beim Unabhängigkeitsreferendum führe zu weiterer Dezentralisierung, ein „Ja“ dagegen „unwiderruflich“ zur Abspaltung.
Wenn Sie mehr über Schottlands Diskussion über die Unabhängigkeit erfahren wollen, besuchen Sie die Internetseiten der Gegner und Befürworter:
Viele Schotten würden ihre Entscheidung von den Parteien abhängig machen, die für oder gegen die Unabhängigkeit seien, sagte im Vorfeld des Referendums der schottische Blogger Gary Marshall und warnte deshalb: „Wenn wir dieses Thema zur Parteienpolitik machen […], wenn „Ja“ zum Synonym für die SNP und „Nein“ zum Synonym für die Tories wird, verlieren wir das große Ganze aus den Augen. Wenn wir das tun, treffen wir eine langfristige Entscheidung auf Basis von Dingen, die auf lange Sicht keine Rolle spielen. […] In diesem Referendum geht es nicht darum, wer die nächste Wahl gewinnt. Es geht darum, wie wir das nächste Mal, das übernächste Mal und das Mal danach wählen - und abwählen.“
18. September 2014: Tag der Wahrheit für Schottland
Am 18. September 2014 brach dann der Tag der Wahrheit für Schottland an: Das Land stimmte über die Unabhängigkeit von England ab. In den frühen Morgenstunden des 19. Septembers lag das Ergebnis vor: Nach Auszählung von 30 der 32 Wahlbezirke konnten die „No“-Stimmen bereits nicht mehr eingeholt werden. Die einzigen Wahlbezirke, die ausdrücklich für „Yes“ stimmten, waren West Dunbartonshire (54%), Glasgow City (53,5%), North Lanarkshire (51,1%) und Dundee City (57,3%), wie Spiegel Online am Morgen des 19. Septembers mitteilte. In allen anderen Wahlbezirken hätten sich die Stimmberechtigten eindeutig gegen die Unabhängigkeit von Schottland ausgesprochen. In den Highlands stimmten 52,9% mit „Nein“, in Aberdeenshire 60,4% und auf den Orkneys sogar 67,2% mit „Nein“.
Nirgendwo sonst war die ablehnende Haltung gegen die Unabhängigkeit so deutlich wie auf den Inseln im hohen Norden. Das überrascht, waren doch gerade die abgelegenen und tief in der Tradition verwurzelten Gegenden als Hochburgen des „Yes“-Lagers gesehen worden. Die Wahlbeteiligung sei hier jedoch nicht hoch genug gewesen, um das Ergebnis zu kippen, das aus anderen Regionen Schottlands kam. In den Städten hingegen hätten die Menschen schon am frühen Morgen vor den Wahllokalen Schlange gestanden, um abzustimmen. 97 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich registrieren lassen, darunter erstmals auch 16- und 17-Jährige, die die Zukunft ihres Landes mitbestimmen sollten.
Bestellen Sie folgende weiterführende (überwiegend englischsprachige) Lektüre zum Thema:
- Devolution of Scotland: Schottlands Streben nach Unabhängigkeit
- Scotland's Ten Tomorrows: The Devolution Crisis - and How to Fix It
- Designs on Democracy: Architecture and Design in Scotland Post-Devolution
- Governing Scotland: The Invention of Administrative Devolution
- The Road to Independence?: Scotland in the Balance
- The Battle for Britain: Scotland and the Independence Referendum (eBook)
Ministerpräsident Alex Salmond, der mit seiner SNP praktisch als Verlierer aus dem Referendum ging, bedankte sich bei den 1,6 Millionen Schotten, die für Schottlands Unabhängigkeit gestimmt hätten. Er sagte auch: „Wir wissen jetzt, dass es eine Mehrheit für die „No“-Kampagne geben wird. Ich akzeptiere das Urteil des Volkes, dass es zu diesem Zeitpunkt keine Unabhängigkeit geben soll.“ Seine Stellvertreterin, Nicola Sturgeon, ergänzte: „Jedes Mitglied der Yes-Kampagne ist tief enttäuscht. Aber Schottland hat sich für immer verändert.“ „Ich bin am Boden zerstört“, zitierte Spiegel Online am Tag nach der Wahl eine „Yes“-Wählerin aus Edinburgh. „Wir sind eine Nation der Trottel.“
Klar ist: Schottland hat deutlich gemacht, dass es sich nicht mehr widerstandslos von London bevormunden lassen wird. Eine Welle der Veränderung ging durch das Land und dieser Prozess könnte sich weit über das Ende der Wahl hinaus fortsetzen. Schon am nächsten Morgen kündigte Premierminister David Cameron konstitutionelle Veränderungen an. In Zukunft sollen nun mehr Kompetenzen nach Schottland verlagert werden. Dazu zählt unter anderem die Selbstverwaltung von Steuereinnahmen. Das macht Alex Salmond am Ende doch noch zum Sieger der Wahl: Ihm ist es gelungen, weitere Kompetenzen nach Schottland zu holen – und nun könne man „gemeinsam als Nation nach vorn schauen.“
Das restliche Europa reagierte mit Erleichterung auf das Ergebnis der Abstimmung. Hier hatte man befürchtet, dass eine Abspaltung Schottlands zu einer Destabilisierung Europas führen könne. Andere Regionen mit separatistischen Tendenzen – etwa im Baskenland oder Katalonien – hätten sich Schottland zum Vorbild nehmen können.
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