Die Pikten

Jim Lawrence | Dreamstime.com

Die Pikten

Pikten

Viel mehr als ihre eindrucksvollen Steinkreise haben uns die Pikten nicht hinterlassen, als sie verschwanden.

Das geheimnisvolle Volk der Pikten ist ein fester Bestandteil des Zaubers des mystischen Schottlands. Gefürchtet, verteufelt – und heute verehrt. Ohne die Pikten ließe sich die Geschichte von Schottland nicht erzählen, doch zugleich weiß man kaum etwas Belegbares über dieses geheimnisvolle Volk zu sagen. Es passt zu Schottland, dass die Anfänge seiner Geschichte in einem Nebel liegen, der dem der Isle of Skye gar nicht so unähnlich ist.

Nur hin und wieder gewähren uns die Nebelschwaden einen Blick auf Details - Details, die sich für uns deshalb aber noch lange nicht zu einem großen Ganzen zusammenfassen lassen. Das, was wir heute als Schottland kennen, war einst das Königreich der Pikten, Alba. Wenige Quellen nur gewähren uns einen Einblick in das, was sich dort in den Nebeln der Vergangenheit zutrug. Genaue Datierungen sind beinahe unmöglich. Übermittelt ist uns, dass es im 9. Jahrhundert hieß, die königliche Linie der Pikten reiche 1070 Jahre zurück. Eine andere Quelle sprach, ebenfalls im 9. Jahrhundert, von 1360 Jahren. Das sind erstaunlich präzise Zeitangaben, bedenkt man, dass diese Angaben in die Zeit vor der christlichen Zeitrechnung zurückreichen, in eine Zeit, in der das heutige Schottland hätte auf einem anderen Planeten liegen können als Rom.

Die Pikten – Ein Volk voller Rätsel

Die Pikten gehören zu den Kelten, die überall auf der Insel ihre Spuren hinterlassen haben - wie hier, im Bodmin Moor.

Wir wissen auch, dass sich die Pikten selbst Cruithne nannten. Den Namen Pikten erhielten sie erst von den Römern. Die lateinischen Wörter „pictor“ oder „picturatus“ bedeuten so viel, wie „Maler“ oder „bemalt“ und so spielt der Name einer landläufigen Meinung nach auf die blauen Bemalungen der Pikten an. Nigel Tranter schreibt in seinem Buch The Story of Scotland jedoch, dass diese Erklärung zu abwegig sei, um überhaupt Zeit daran zu verschwenden. Wahrscheinlich ist die tatsächliche Erklärung des Namens auf dem Weg in unsere Zeit irgendwo verloren gegangen, doch Spekulationen zum Ursprung des Wortes gibt es viele. Denkbar wäre zum Beispiel, dass sich die Römer damit auf die Eigenart der Pikten bezogen, über Bilder (Piktogramme) oder Steine zu kommunizieren.

Noch heute assoziiert man das Volk vorrangig mit ihren Symbolsteinen, in die die Pikten ihre geheimnisvollen Zeichen meißelten und die uns noch immer Rätsel aufgeben. Das gälische Wort Cruithne hingegen heißt so viel wie Getreidezüchter und war zugleich der Titel, der dem König der Pikten verliehen wurde. Das erscheint uns heute ein banaler Name für einen Herrscher zu sein, doch zu einer Zeit, in der die meisten Menschen noch Nomaden, Jäger und Sammler waren, war es ein Zeichen höchster Entwicklung, wenn ein Volk in der Lage war, Felder zu bestellen und Ackerbau zu betreiben. Die Ahnenlinie ihres Königs verfolgten die Pikten zurück bis zu Japeth mac Noah, also dem Sohn von Noah und damit in biblische Zeiten.

Das erscheint auf den ersten Blick etwas widersprüchlich – der Schauplatz der Bibel könnte kaum weiter entfernt von Schottland sein – doch untersucht man die Pikten genauer, offenbart sich Erstaunliches. Als Kelten stammen die Pikten von einem Volk ab, das seinen Ursprung im Urstromtal, zwischen Euphrat und Tigris hatte. Hier, wo die Wiege der Menschheit liegt, der biblische Garten Eden, wie die Region oft genannt wird, entwickelte sich ein Volk, das sich in den kommenden Jahrhunderten seinen Weg quer durch Europa kämpfen sollte. Die Kelten waren gefürchtet, ein raues Volk, das kein Erbarmen zu kennen schien, zugleich aber hoch entwickelt und feingeistig. Von der Küste des Mittelmeeres besiedelten sie Spanien und Frankreich und gelangten von dort über Irland, Cornwall und Wales nach Alba. Es ist jenes keltische Erbe, das einen großen Teil der Magie dieser Länder ausmacht, das, was die meisten Großbritannien-Fans an Cornwall, Wales und Schottland so fasziniert.

Die Geschichte der Pikten in Britannien

Die Steine der Pikten geben uns mit ihren Gravuren noch immer Rätsel auf.

Heute gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die Kelten etwa um 500 vor unserer Zeitrechnung nach Alba kamen. Genau weiß man das nicht. Doch wie alle keltischen Völker verfügten auch die Pikten über eine sehr lebendige Erzähltradition. Schriftstücke hinterließen sie nicht, dafür aber zahllose Geschichten, Mythen und Legenden, die bruchstückhaft und zu Teil kaum für uns zu entschlüsseln bis in unsere Zeit hinein überdauert haben.

Das Volk, das vor den Pikten hier lebte, ist uns gänzlich unbekannt. Wir wissen nichts über sie und können nur Vermutungen anstellen. Nur weniges haben sie uns hinterlassen: Knochen, vereinzelte Scherben und Steinwerkzeuge.

Es ist davon auszugehen, dass die Pikten die wenigen, kleinen Gruppen vollständig absorbierten. Weil die Pikten selbst – abgesehen von einigen wenigen Felszeichnungen und Gravierungen – auch keine Zeugnisse hinterließen, müssen wir uns auf die Beschreibungen von Zeitzeugen verlassen. Wir wissen, dass sie nicht, wie man allgemein gerne glaubt, ohne jede Kleidung und in blauer Kriegsbemalung durch die Nebel Schottlands zogen. Stattdessen waren sie ein zivilisiertes Volk mit aufwendiger Kleidung und Kilts. Wir wissen darüber hinaus, dass sie sehr religiös und mutige Krieger waren. Das liegt nahe, denn auf ihrem Siegeszug quer durch Europa mussten sich die Kelten immer wieder gegen andere Völker und Kulturen behaupten: Niemals wurden sie assimiliert, immer bewahrten sie sich ihre Eigenheiten und Charakteristika. Das gelingt nur, wenn man sich wehren kann.

Dennoch unterschieden sich die Pikten deutlich von den Wikingern, den Angeln, Sachsen und Jüten, die zu unterschiedlichen Zeiten der Geschichte auf die britische Insel kommen sollten. Sie alle eint die Tatsache, dass es sich um raubende, rastlose Völker handelte, die nirgendwo sesshaft wurden, sondern von Land zu Land zogen, es ausbeuteten und dann weiterzogen. Die Pikten jedoch waren gekommen, um zu bleiben. Sie brachten ihr Wissen um Ackerbau und Viehzucht mit nach Britannien und machten die Insel zu ihrer Heimat. Es scheint fast, als hätten sie auf ihrer langen Reise quer über den Kontinent nach dieser Heimat gesucht, die sie im Norden Britanniens endlich fanden.

Über Jahrhunderte hinweg blieben sie hier und zogen nicht weiter. Esoteriker, Träumer und Mystiker mögen jetzt denken, dass sie diese unbestimmte Sehnsucht nach einer Heimat in Schottland selbst jedes Mal empfinden, wenn sie an das Land denken und es am Beginn eines Urlaubs wieder betreten. Vielleicht ist das das keltische Erbe in uns, das noch immer über ganz Europa verstreut ist. Und auch in den Schotten ist dieses Heimatgefühl, diese Verbundenheit mit ihrem Land, noch immer präsent. Sie macht sogar einen Großteil ihres Wesens aus. Als Urlauber neiden wir ihnen fast diese Einheit mit ihrem wunderschönen Land. All das hat seine Wurzeln in der Zeit der Pikten.

Aufstieg und Fall der Pikten in Alba

Nun, da sie in Alba sesshaft geworden waren, hatten die Kelten auch Zeit, sich ihren religiösen Bräuchen zu widmen. Es ist leicht nachvollziehbar, das ein räuberndes, plünderndes, rastloses Volk, das ständig ums Überleben kämpft, nur wenig Zeit hat, sich der Religion zu widmen. Doch kaum waren die Pikten sesshaft geworden, entwickelte sich eine religiöse Kultur, deren Zeugnisse wir noch immer überall im Land finden. Die Pikten waren – wie alle Kelten – Anhänger eines uralten Sonnenkults, den sie noch aus Vorderasien mitgebracht hatten. Die Sonne repräsentierte für sie den Unbekannten Gott, den Licht- und Wärmespender, der Gesundheit und Fruchtbarkeit schenkte. Auch hier oben im Norden, wo sich die Sonne viel seltener zeigte, als in der ursprünglichen Heimat der Kelten, huldigten sie der Sonne, errichteten ihr exakt astronomisch ausgerichtete Steinkreise, deren Transport und Logistik uns noch heute in Staunen versetzen und Wissenschaftler in ihrer Exaktheit verblüffen.

Die Pikten mögen keine Schriftstücke hinterlassen haben, doch spätestens an diesen Errungenschaften sehen wir, dass es sich bei ihnen um ein hoch entwickeltes, fortschrittliches Volk gehandelt haben muss. Angesichts der Tatsache, dass wir es schaffen, Menschen auf den Mond zu bringen, ist es jedoch eine sehr ernüchternde Perspektive, dass wir wohl nie in der Lage sein werden, die Zeichen und Formen darauf zu deuten. Wir können die Geheimnisse des Weltalls ergründen, jedoch nicht die, die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben.

Erst im siebten Jahrhundert lichten sich die Nebel der Vergangenheit dann langsam. Zu jener Zeit kam das Christentum nach Alba. Doch ein Volk, das sich über Jahrhundert hinweg gegen jeden Versuch der Okkupation oder Invasion gewehrt und seine Kultur bewahrt hat, ist natürlich nicht bereit, all das für einen neuen Gott aufzugeben. Etwas mehr als 100 Jahre lang gaben sich die Missionare die größte Mühe, die alte Religion zu vertreiben und das Christentum in das heutige Schottland zu bringen. Doch sie hatten zunächst wenig Erfolg und etwa 100 Jahre nachdem sie verschwunden waren, war es, als hätte es in Alba nie einen anderen Gott gegeben, als den Unbekannten Gott der Pikten.

Es weht ein neuer Wind durch Schottland

Erst mit dem Heiligem Columba, der 563 mit seinen 12 Brethren aus Irland kam, nahmen die Veränderungen ihren Lauf. Etwa zu dieser Zeit kamen auch die Scoten nach Schottland. Fergus MacErc und seine fünf Brüder, Prinzen aus Dalriata in Irland, sollten das Ende der Pikten in Alba einläuten, als sie im heutigen Argyll das Königreich Dalriada gründeten. Nach ihnen heißt das Land heute Scotland, also Schottland. Scota, von deren Namen sich diese Bezeichnung ableitet, war eine ägyptische Pharao-Tochter, die mit einem keltischen Prinzen nach Irland durchgebrannt war. Sie trug bei sich den Lia Faill, den Stone of Destiny, auf dem von da an alle schottischen Könige gekrönt werden sollten. Die Scoten waren also, wie die Pikten, ein keltisches Volk.

Es ist kein Wunder, dass es ihnen über eine geschickte Heiratspolitik gelang, ihr Königreich weiter auszuweiten. Einige Zeit lang co-existierten die Königreiche Alba und Dalriada nebeneinander, doch um 843 wurde Kenneth MacAlpin, der als Begründer des heutigen Schottlands gilt, nicht nur zum König der Scoten erklärt, sondern auch zum Hochkönig der Pikten. In einer Zeit, in der die Wikinger die Küsten Albas angriffen, erwies sich Kenneth als großer Krieger, der die beiden Völker gegen den gemeinsamen Feind einte.

Man kann davon ausgehen, dass das im Einvernehmen mit den Pikten geschah. Kurz darauf begannen sie, sich selbst Scoten zu nennen und legten den Namen Cruithne ab, den sie seit mehr als 1000 Jahren getragen hatten. Warum das geschah, wissen wir heute noch nicht. Doch sicher ist, dass 843 das Ende der Pikten repräsentiert – obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch immer 95 % der Bevölkerung ausmachten. Auch das ist wohl eines jener Rätsel, die im Nebel der Vergangenheit von Schottland für immer ungelöst bleiben werden. Doch in jedem Fall ist es von diesem Zeitpunkt – nach dem Ende von Alba – an genau das: die Geschichte von Schottland, über die Sie an anderer Stelle mehr lesen können.

Fans von Asterix und Obelix werden übrigens an den Bändern Asterix bei den Pikten sowie auch Asterix bei den Briten besondere Freude finden, der 2013 erschienen ist.



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