Greenwich
Wollte man es ganz poetisch sagen, so müsste man schreiben, Greenwich wäre der Ort der Teilung der Welt. Was so klingt wie ein Buchtitel von Ken Follett, ist in Greenwich aber eine Tatsache: Hier verläuft der Nullmeridian, der die Erde in die östliche und die westliche Hemisphäre teilt. Der Nullmeridian zieht sich senkrecht zum Äquator vom Nord- zum Südpol und ist jener Meridian, von dem aus die geographischen Längen nach Osten und nach Westen gezählt wird.
Das lässt Greenwich ein bisschen so erscheinen, als sei es der Mittelpunkt der Welt, was sicherlich kein Zufall ist, denn zur Zeit der Internationalen Meridiankonferenz 1884, auf der man sich auf den Greenwich-Meridian als Nullmeridian einigte, war London auch noch so etwas wie der Nabel der Welt, das Zentrum eines gewaltigen Empires, eine bedeutende Handelsmacht und Ausgangspunkt großer Entwicklungen. Und so kommt es, dass heute alle Welt den Namen dieses Vorortes von London kennt und Greenwich – obwohl ein Stadtteil von beinahe dörflicher Idylle – jener Ort ist, an dem die Welt in zwei geteilt wurde.
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Versäumen Sie es bei Ihrem Ausflug in jedem Fall nicht, dem Royal Observatory im Greenwich Park einen Besuch abzustatten. Es wurde 1675 als Arbeitsplatz für die königlichen Hofastronomen auf einem Hügel im Greenwich Park über der Themse errichtet und lag damals noch außerhalb von London. Das Herz des relativ schlichten Gebäudes aus rotem Backstein bildet das Teleskop im Observatorium. Genau hier hindurch verläuft der Nullmeridian, der im Innenhof durch einen Messingstreifen kenntlich gemacht wurde.
Nachts wird ein starker grüner Laser verwendet, der die Nacht durchschneidet und die Linie des Greenwich-Meridians weithin sichtbar markiert. Damit ist es der Bedeutung dieses Observatoriums aber noch nicht genug: Jene Uhrzeit, die man hier am Observatorium maß, war zwischen 1884 und 1928 die offizielle Weltzeit und noch heute werden Zeitangaben oftmals in der sogenannten Greenwich Mean Time (GMT) angegeben. Nicht selten stolpert man außerdem über die Kennzeichnung GMT +/- x, womit den Zeitzonen Rechnung getragen wird, indem der zeitliche Abstand zur Greenwich Mean Time in Stunden angegeben wird. Offiziell ist die Mean Time aber inzwischen von der Koordinierten Weltzeit (UTC) abgelöst worden.
Eine Reise durch die Geschichte von Greenwich
Haben Sie dann dem Observatorium und dem Nullmeridian ausreichend Tribut gezollt, lohnt es sich, noch ein bisschen in Greenwich zu verweilen und den Stadtteil näher zu erkunden. Noch immer ist Greenwich, dessen Name sich von der Lage im Grünen ableitet (Greenwich = „Grünes Dorf“ oder „Dorf im Grünen“), ein Stadtteil mit sehr viel Grün. Vor allem der Greenwich Park sorgt dafür, dass man hier zuweilen vergisst, dass man sich überhaupt noch in London befindet. Ein ausgiebiger Spaziergang lohnt sich, denn die vielen architektonisch und historisch bedeutsamen Gebäude im Stadtteil stehen nicht umsonst unter der Bezeichnung Maritime Greenwich unter dem Schutz des Weltkulturerbes der UNESCO.
Greenwich blickt auf eine lange Siedlungsgeschichte zurück und hat viel erlebt, das im Stadtbild seine Spuren hinterlassen hat. So gibt es im südwestlichen Teil des Parks zum Beispiel Hügelgräber aus der Bronzezeit, die im 6. Jahrhundert dann von den Angelsachsen weiterverwendet wurden. Am entgegengesetzten Ende des Parks erwarten den Besucher die Überreste einer römischen Villa, die auch ein Tempel gewesen sein könnte, und in der man 1902 300 römische Münzen aus der Zeit von Kaiser Flavius Honorius (4. Jahrhundert) entdeckte – damals ein beachtliches Vermögen, was auf die Bedeutung des heutigen Greenwich für die Römer schließen lässt. Bekannt ist aber, dass die Römerstraße, die Londinium (das heutige London) mit dem Hafen Portus Dubris (Dover) verband, durch den Süden des heutigen Greenwich führte.
Dieser Lage ist es auch zu verdanken, dass jeder, der in Dover anlandete, um das Land zu erobern, zwangsläufig Greenwich passieren musste, wenn er nach London gelangen wollte. Das gilt für die Dänen, die zur Regierungszeit des sächsischen Königs Æthelred hierher kamen ebenso wie für die Normannen, die England 1066 eroberten. Es heißt, die Dänen hätten damals, im 11. Jahrhundert, auf einem angrenzenden Hügel an der Themse ein Lager errichtet und von hier aus Angriffe auf die Grafschaft Kent vorgenommen und schließlich Canterbury erobert. Sie nahmen den Erzbischof Alphege gefangen und hielten ihn sieben Monate lang in Greenwich fest, bevor sie ihn schließlich steinigten, weil kein Lösegeld für ihn gezahlt wurde. Alphege wurde dafür inzwischen heilig gesprochen, woran die St. Alfege Church in Greenwich heute noch erinnert, die im 18. Jahrhundert errichtet wurde.
Sehenswürdigkeiten und Highlights von Greenwich
Nach der Eroberung Englands durch die Normannen gab es in Greenwich ein Rittergut, das im Domesday Book aufgeführt ist, später stand dort eine königliche Jagdhütte, die von den englischen Königen mit großer Regelmäßigkeit und Leidenschaft besucht wurde. Mitte des 15. Jahrhunderts ließ Humphrey, Duke of Gloucester, der Regent von Heinrich VI., deshalb dort ein prächtiges Gebäude errichten, das später unter dem Namen Palace of Placentia bekannt war. Diesen Namen verdankt das Herrenhaus Königin Margarete von Anjou und wurde oft als Palace of Pleasaunce umgedichtet. Es war ein Lustschloss, das den folgenden Königen sehr am Herzen lag und Heinrich VII. sogar als Hauptresidenz diente.
Hier, in Greenwich, wurde auch dessen Sohn, der berüchtigte Heinrich VIII., geboren; genauso wie hier später seine beiden Töchter Maria I. und Elizabeth I. zur Welt kamen. Nachdem der Palast im Englischen Bürgerkrieg verfallen war, riss man ihn 1660 schließlich ab. Karl II. versuchte sich am Bau eines neuen Palastes, doch bis heute ist nur der Ostflügel vollendet.
An dieser Stelle wurde 1694 dann das Greenwich Hospital errichtet. Königlich ist heute nur noch das Queen’s House, das über dem Hospital auf einem Hügel thront und in dem seit 1914 das National Maritime Museum untergebracht ist, das in jedem Fall einen Besuch lohnt, wenn man sich für die maritime Geschichte des Empires interessiert, das einen großen Teil seiner Erfolge seiner Vormachtstellung zur See verdankte. Weitere Sehenswürdigkeiten in Greenwich sind die Cutty Sark, ein Museumsschiff in einem Trockendock an der Themse, das 2007 in die Nachrichten geriet, als dort ein verheerender Brand ausbrach.
Seit 2012 ist das Schiff aber wieder frei zugänglich. Architektonisch wertvoll sind außerdem das Royal Naval College, in dem heute unter anderem Teile der University of Greenwich und des Trinity Colleges of Music untergebracht sind, und das Armenhaus aus dem Jahr 1613, das zugleich das älteste erhaltene Gebäude im Stadtzentrum ist. Es bietet sich also an, bei der Besichtigung der Sehenswürdigkeiten von London wenigstens einen halben Tag für Greenwich einzuplanen und sich Zeit zu lassen - hier, an dem Ort, an dem man die Teilung der Welt mit einem kleinen Sprung überwinden kann.
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