Streaming Tipp: The Crown
Es mag seltsam erscheinen, dass sich bis heute im aufgeklärten Europa eine Monarchie hält, die so anachronistisch wie skandalumwittert daherkommt. Seit dem frühen Mittelalter herrscht in Großbritannien ein Monarch; das Königtum hat Bürgerkriege, Invasionen und Kirchenspaltungen überlebt, und auch wenn die Monarchie heute lediglich repräsentative Funktionen ausfüllt, so ist sie doch ein unverkennbar britisches Symbol von Einfluss und Kontinuität.
The Crown - Das Kreuz der Krone
Es ist die Queen, inzwischen 95-jährig und seit beinahe sieben Jahrzehnten auf dem Thron, die alles zusammenhält. 2016 endlich erhielt sie mit der Netflix-Serie "The Crown" eine gebührende Würdigung im Genre des Film und Fernsehen. Seitdem fasziniert "The Crown" die Zuschauer mit Einblicken in das Leben, Lieben und Leiden des am längsten amtierenden Staatsoberhaupts weltweit.
43 Jahre in vier Staffeln
Ebenso wie die Geschichte der realen Elizabeth II. ist auch die Netflix-Serie noch nicht abgeschlossen. 2020 wurde eine fünfte, 2021 eine sechste Staffel angekündigt. In den ersten vier Staffeln wurde das Leben Elizabeths II., ihrer Verwandten und des britischen Volks authentisch nachgezeichnet: Der Bogen spannt sich chronologisch von der Hochzeit mit Prinz Philip 1947 bis zum Sturz Margaret Thatchers 1990.
Die Serie beginnt mit einer 21-jährigen Elizabeth, die zwar die britische Thronerbin ist, die Thronbesteigung jedoch noch in weiter Ferne sieht. Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, mit dem in Trümmer liegenden Land geht es allmählich aufwärts und sie darf in der Westminster Abbey ihre große Liebe, Prinz Philip von Griechenland und Dänemark, heiraten.
Doch bekanntlich ließ die Verantwortung der Macht nicht lange auf sich warten. Während sich der gesundheitliche Zustand ihres Vaters zunehmend verschlechtert, muss Elizabeth vermehrt öffentliche Auftritte übernehmen. Als George VI. 1952 stirbt, befindet sich das junge Thronfolgerpaar auf einer Reise durch Kenia - das Kreuz der Krone liegt von nun an auf den Schultern einer erst 25-jährigen Frau.
Noch immer dominieren Männer die Welt und somit auch die britische Politik. Die junge Königin trifft auf einen alten, bereits zur Legende gewordenen Premierminister Churchill, dem es nicht gelingt, seine großen Erfolge im Weltkrieg auf innenpolitischer Ebene fortzusetzen.
Derweil beginnt ihre Schwester Margaret eine skandalträchtige Affäre mit dem britischen Jagdflieger Peter Townsend; eine Heirat kommt jedoch nicht zustande, da Townsend bereits geschieden ist, was für die Windsors ein unüberbrückbares Hindernis darstellt.
Staffel 2 setzt am Ende der Fünfziger Jahre ein und beleuchtet einfühlend die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von königlichen Pflichten und dem Privatleben. Im familiären Umfeld tun sich Gräben auf.
Während Elizabeth auf der einen Seite darum bemüht ist, mit Philip und ihren Kindern ein halbwegs normales Leben zu führen, bereiten ihr die zahlreichen Skandale um die Nazi-Vergangenheit ihres Onkels und des abgedankten Königs sowie das ausschweifende Nachtleben ihrer Schwester Margaret Kopfzerbrechen. Es kommt auch zu einem glamourösen Treffen mit den Kennedys, die damals so etwas wie eine "königliche Ersatzfamilie" in den USA verkörpern.
Während sich die weltpolitische Lage in Staffel 3 ein wenig entspannt, entzündet sich zwischen Elizabeth und ihrem ältesten Sohn Charles ein intensiver Streit über das Privatleben des Prinzen. Denn bevor Diana Spencer die Bühne betritt, ist eine gewisse Camilla Shand schon da.
Gleichzeitig beginnt Elizabeths Tochter Anne eine Liaison mit Camillas zukünftigem Gatten Andrew Parker-Bowles. Prinz Philip hat dagegen einiges mit sich selbst auszumachen und fragt sich im Augenblick einer Art Lebenskrise, ob er tatsächlich bei allen Entscheidungen die richtige Wahl getroffen hat.
Margaret heiratet den Fotografen Antony Armstrong-Jones, findet sich allerdings bald in einer alles andere als zufriedenstellenden Ehe wieder. Jeder hadert auf seine Weise mit den Umständen, die ihm das Leben eingebracht hat. Die internen Differenzen und Dramen der Windsors drängen immer mehr an die Öffentlichkeit.
In der vierten Staffel bekommt es die Königin mit zwei starken Frauengestalten zu tun, die ebenso wie sie selbst ihren Anspruch auf Souveränität kundtun. Da ist zum Einen die bereits angesprochene Diana, die allzu bald merkt, dass sie sich durch ihre Heirat mit Charles in einen goldenen Käfig begeben hat.
Zum Anderen erhält Elizabeth mit der ambitionierten neoliberalen Premierministerin Margaret Thatcher eine energische Kontrahentin. Das Königreich ist zerrissen zwischen sozialen Missständen im Inneren und einem törichten Krieg auf den Falklandinseln. Zudem erschüttert die paramilitärische IRA mit Anschlägen das Königreich. Lord Mountbatten, der Onkel Prinz Philips, kommt dabei 1979 ums Leben.
Auch die beiden jüngeren königlichen Kinder Andrew und Edward werden sich allmählich der Schattenseiten ihres privilegierten Lebens bewusst. Fast scheint es so, als würde hier bereits alles in Zeitlupe auf die großen royalen Katastrophen der Neunziger Jahre vorbereitet werden.
Bis zum Start von Staffel 5 und Staffel 6 müssen sich die Fans noch etwas gedulden. Aber wenn die Produzenten an der Inszenierung der bisherigen Staffeln festhalten, ist das Versprechen genug.
Glut, Gestik und Gefühle - Königliche Schauspielkünste
Für "The Crown" wurde ein umfangreiches Starensemble aufgefahren. Das beginnt bereits mit dem Drehbuchautoren Peter Morgan; einen geeigneteren Experten hätte man wohl kaum ausfindig machen können, war Morgan doch auch schon verantwortlich für den 2006 erschienenen Historienfilm "The Queen" mit Helen Mirren als Elizabeth II. in der Hauptrolle. Dank ihm sind die Dialoge meisterhaft inszeniert, jedes Zittern und Zucken sitzt und immer wieder leuchten die Kameras durch geschickte Schnitte auf die Gesichter quasi einen ganzen Charakter aus.
Gleichzeitig überzeugen die Darsteller staffelübergreifend mit ihrer Schauspielkunst: Sowohl Claire Foy (Staffel 1-2) als auch Olivia Colman (Staffel 3-4) vermitteln ein authentisches Bild der verantwortungsbewussten Monarchin, die ihr Königreich über alles stellt, zugleich aber eine liebevolle Tochter, Ehefrau und Mutter sein will.
Die Königin ist der Inbegriff der Macht, darf aber weder eine Haltung noch eine Stimme haben und ist somit unfreier als die meisten anderen. Diese Diskrepanz wird von den beiden Darstellerinnen gleichermaßen gekonnt illustriert.
Ebenfalls hervorzuheben ist Emma Corrin, die der jungen Diana zum Verwechseln ähnlich sieht und ihrer Rolle durch eine monatelang einstudierte Mimik und Gestik eine erstaunliche Authentizität verleiht. Das Thema Bulimie wird hierbei nicht verschwiegen, sondern offen in Szene gesetzt.
Auch Gillian Anderson nimmt ihre Rolle als Premierministerin der Achtziger Jahre sehr ernst und verkörpert überzeugend eine berechnende Machtpolitikerin zwischen Despotismus und emotionalen Zusammenbrüchen in den letzten Jahren des Eisernen Vorhangs.
Josh O´ Connor zeichnet ein charmantes Bild des jungen Prinz Charles, idealistisch, romantisch und offenbar nie gut genug entsprechend den allgegenwärtigen Ansprüchen, und man ist fast geneigt, dem umstrittenen Thronfolger von Großbritannien sein Verhalten gegenüber Diana nachzusehen, weil er seine Camilla doch so sehr liebt.
John Lithgow, der einzige Amerikaner im Cast, als Winston Churchill ist überdies eine äußerst gelungene Besetzung: Lithgow gelingt es auf bemerkenswerte Weise, die Legende Churchill mit all ihren Fähigkeiten und Fehlern lebendig werden zu lassen.
Auch an den Kulissen wurde nicht gespart. "The Crown" galt schon während der Dreharbeiten zur ersten Staffel als eine der teuersten Serien, die jemals produziert wurden. Die Liebe zum Detail wird an vielen Stellen sichtbar: Für die Hochzeitskleider von Elizabeth II. sowie für Diana wurde eine wochenlange Präzisionsarbeit eingefordert, um die Repliken möglichst wirklichkeitsnah nachzuempfinden.
Auch die Standortwahlen wurden akribisch vorbereitet. Obwohl man angesichts der realitätsgetreuen Kulissen tatsächlich meinen könnte, man befände sich im Buckingham Palace, so wurden diese Szenen eigentlich in Lancaster House in London gedreht; diese märchenhaft anmutende Residenz wurde bereits ausführlich von den Produzenten von "Downton Abbey" benutzt.
Auch die Hochzeit von Elizabeth II. mit Prinz Philip wurde in der Serie nicht in der Westminster Abbey realisiert, sondern in einer Kathedrale in Cambridgeshire; aufgefallen ist es nicht, was für die Akkuratesse des gesamten Teams spricht.
"The Crown" gelingt es, das Gefühl eines imposanten Märchentraums zu vermitteln und aber zeitgleich diesen schönen Schein durch die Veranschaulichung der Palastetikette und angestaubten Regeln in ein enges Korsett zu pressen, welches unumgänglich mit der Aufrechterhaltung eines "public image" einhergeht. Völlig zurecht gab es 2017 für Regie und Drehbuch jeweils einen Emmy Award.
Nur die äußeren Kulissen weisen auf die starke Anlehnung an die historische Wirklichkeit hin. Die verblüffende Verschiedenheit Elizabeths und Margarets entsprach zu einem großen Teil der Wahrheit.
Während die ältere Tochter von Anfang an in die Rolle der gewissenhaften Thronfolgerin hineinwuchs, tat die jüngere sich schwer als Nummer Zwei und wurde geplagt von Selbstzweifeln, was sie mit Alkohol und einem ausschweifenden Lebensstil zu kompensieren versuchte.
Der feuchtfröhliche Abend im Weißen Haus bei Präsident Lyndon Johnson hat jedenfalls tatsächlich stattgefunden; Johnson weigerte sich als einziger US-Präsident, eine Einladung der Königin von England anzunehmen.
Auch die Alltagsgewohnheiten der Queen werden insgesamt sehr akkurat dargestellt, inklusive den braunen Frühstückseiern und der abendlichen Puzzlezerstreuung. Neben dem internen Leben einer Familie hat die Zeitgeschichte von Großbritannien ihren Platz: Diversen historischen Ereignissen von den Fünfzigern an werden eigene Episoden eingeräumt.
Einen Anspruch auf die Wahrheit und nichts als die Wahrheit erhebt die Serie jedoch nicht. Was aufgrund mangelnder Beweislage dazuerfunden werden musste, wurde zumeist äußerst sorgfältig besprochen und ausgewählt. Dennoch darf nicht vergessen werden: Die Netflix-Produktion "The Crown" will eine angemessene Unterhaltung bieten, Eigeninterpretationen und Drama nicht ausgeschlossen.
Die vehementen Auseinandersetzungen zwischen Elizabeth II. und Margaret Thatcher sind wohl teilweise etwas überspitzt worden, ebenso wie der Skandal um eine mögliche Verbindung von Charles und Camilla noch vor dem Auftreten Dianas. Dass die Königin von England ihrer Schwester die Hochzeit mit Peter Townsend verboten hat, trägt zwar zur Charakterisierung der geschwisterlichen Beziehung bei, die sowohl konfliktgeladene wie auch symbiotische Elemente aufwies, ist aber so nicht korrekt; tatsächlich arbeitete Elizabeth II.
Mit dem damaligen Premierminister Eden einen Plan aus, der es Margaret unter bestimmten Bedingungen erlaubt hätte, Townsend zu heiraten. In der vierten Staffel tritt in einer Folge der arbeitslose Michael Fagan auf, dem es gelingt, eines Nachts in das Schlafzimmer der Queen einzudringen und ein minutenlanges Gespräch mit ihr zu führen, ehe die Polizei eintrifft und ihn abführt.Dieses Ereignis hat durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle tatsächlich so stattgefunden, wurde aber in "The Crown" fiktionalisiert und umgedeutet als ein Appell an die Queen, der Sozialpolitik Thatchers entschieden entgegenzutreten. Worüber genau die Königin mit Fagan an jenem 9. Juli 1982 gesprochen hat, ist bis heute unklar.
Man muss allerdings hinzufügen, dass die Realitätstreue im Laufe der Staffeln stets schwieriger zu verwirklichen war; besonders die vierte Staffel spielt in einem Zeitraum, den viele Konsumenten der Serie selbst erlebt haben - zwangsläufig entsteht da schnell ein Streit um die Deutungshoheit. Es kann auch gar nicht der Anspruch von Film und Fernsehen sein, eine Epoche quasi eins zu eins nachzubilden.
Letztendlich gilt: "The Crown" ist keine Geschichtsdokumentation, die es sich zum Ziel setzt, absolut quellengetreu zu erzählen, sondern eine sich in einem historischen Umfeld bewegende Serie mit dramatischen Aspekten, welche das Leben einer von Macht und Verantwortung gezeichneten Familie auf dem britischen Thron thematisiert.
Fazit zum Streaming-Highlight "The Crown"
Mit der visuellen Ausstattung und der staffelübergreifend herausragenden schauspielerischen Leistung, dazu noch dem großartigen Soundtrack von Hans Zimmer, ist "The Crown" ein majestätischer Ausnahmefall der Unterhaltung. Die Serie ist zugleich Zeitreise, Verwandtendrama und ein Stück Lebensgeschichte.
Man mag von der Monarchie und ihren Protagonisten halten, was man will; der Serie gelingt es auf bemerkenswerte Weise, die Fehler und Makel einer der meistbeachteten Familien der Welt in ihrer Komplexität und zugleich tiefsten Menschlichkeit darzustellen.
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