Die britische Landwirtschaft und Agrar-Kultur
Die landwirtschaftliche Arbeit trägt in England nur noch sehr wenig zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Mit weniger als 1 % ist der Anteil vergleichbar mit dem in Deutschland. Etwa 80 % der Wirtschaftskraft des Landes basiert auf dem Dienstleistungssektor, speziell der Finanzwirtschaft in London.
Die City of London ist einer der führenden Finanzplätze der Welt und die führende Finanzmetropole Europas. Knapp 20 % Anteil am BIP hat die Industrie. Das ist in Deutschland etwas anders. Hier macht der Anteil der Industrie etwa 30 % aus.
Knapp 71 % des Landes werden landwirtschaftlich genutzt (in Deutschland sind es 48 %). Auf dieser Fläche wird aber nur etwa 60 % dessen erzeugt, was im Land konsumiert wird. Die restlichen 40 % der landwirtschaftlichen Konsumprodukte werden aus dem Ausland importiert. In Zahlen sind das beispielsweise 80 % der Butter, 65 % des Zuckers, 50 % des Weizens, 50 % des Schweinefleischs und 25 % des Rindfleischs.
Die jungen Menschen ziehen sich heutzutage aus der Landwirtschaft zurück. Das Durchschnittsalter der Farmer in England liegt bei 60 Jahren. Die Arbeit auf einem Bauernhof zahlt sich nicht mehr aus. Die Investitionen sind riesig und die Preise für landwirtschaftliche Produkte sinken. Die jungen Leute zieht es in die Städte, vor allem nach London. In neuerer Zeit gibt es aber einen Trend hin zum ökologischen Landbau und zur Erzeugung von Bio-Treibstoff. Dieser Trend geht von den jungen Landwirten aus, die sich auf diesem Wege neue Marktchancen erobern.
Ein Überblick in Zahlen
Etwa 9,34 Millionen Hektar des gesamten Landes in Großbritannien sind Agrarflächen (in Deutschland sind es etwa 16,7 Millionen Hektar). Ein Drittel davon eignet sich zum Anbau, zwei Drittel als Dauergrünland und Weideland. Auf der Hälfte des Ackerlandes wird Getreide angebaut, hauptsächlich im Osten des Landes. 65 % davon ist Weizen, ansonsten sind es vor allem Gerste und Hafer.
Auf der anderen Hälfe des Ackerlandes werden hauptsächlich Kartoffeln, Zuckerrüben und Gemüse angebaut. Gemüsefelder und Treibhäuser machen etwa 1,5 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus, vor allem im Süden des Landes. Sie tragen aber einen Anteil von 12 % zur landwirtschaftlichen Produktion bei.
Es gibt etwa 31 Millionen Schafe, 10 Millionen Rinder, 9,6 Millionen Geflügel und etwa 4,5 Millionen Schweine. All das verteilt sich auf 212.000 landwirtschaftliche Güter und Bauernhöfe, die sich in ihrer Größe extrem unterscheiden. Etwa 2 % der arbeitenden Bevölkerung in Großbritannien ist in der Landwirtschaft beschäftigt.
Etwa 70 % der Höfe werden von den Eigentümern selbst betrieben. Der Rest ist verpachtet. Insgesamt sind die britischen Bauernhöfe durchschnittlich deutlich größer als beispielsweise die in Deutschland. In Deutschland gibt es deswegen viel mehr Höfe (etwa 370.000).
In Wales werden 80 % des Farmlandes als „wenig bevorzugt“ bezeichnet. In Schottland sind es sogar 84 %. „Wenig bevorzugt“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass diese Ländereien weniger ertragreich sind als der Landesdurchschnitt. Der Grund dafür sind die vielen Hochmoore im Norden und die kargen, hügeligen Landschaften im Osten und Westen des Landes. Hier liegt der wirtschaftliche Fokus auf der Viehzucht: Schafe im Norden und Nordosten, Rinder im Westen des Landes.
Großgrundbesitzer und Kleinbauern in Großbritannien
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu einer Agrarrevolution in Großbritannien. Die Veränderungen in der landwirtschaftlichen Arbeit bewirkten eine starke Steigerung der Flächenproduktivität. Dadurch wurden weniger Menschen gebraucht, um das Ackerland zu bebauen. Es kam in der Folge zu einer Verarmung der Landarbeiter. Sie zogen in die Städte und leiteten den Urbanisierungsprozess ein, der letztendlich einer der Grundlagen für die Industrialisierung Englands war.
Eine weitere, bittere Folge dieser landwirtschaftlichen Revolution war das sogenannte Enclosure Movement. Der Begriff steht für die zunehmende Privatisierung und Einhegung des Gemeinlandes. Großgrundbesitzer vergrößerten ihren Landbesitz auf Kosten der Kleinbauern. Weitverstreute Anbauflächen wurden aufgekauft, zusammengelegt und die Allmende, die gemeinsam nutzbaren Weide- und Waldflächen, wurden eingefriedet und zu Privatland. Für die Kleinbauern bedeutete dies der Verlust an Weidefläche für ihr Vieh, ein Mangel an Holz und die totale Verarmung.
In Schottland und Wales kam es infolge dessen zu einer sogenannten inneren Kolonisation. Großgrundbesitzer sorgen für Zwangsdeportationen und die Emigration von ganzen Dorfgemeinschaften nach Australien und Nordamerika. Übrigens fanden ganz ähnliche Entwicklungen gleichzeitig auch in Norddeutschland und Preußen statt. Die Menschen hungerten und hatten in ihrer Heimat keine Zukunft.
Der britische Landadel
Der britische Landadel ist eine gesellschaftliche Klasse von Großgrundbesitzern, die entweder ausschließlich von der Verpachtung ihres Landes leben konnte oder ihren Landbesitz selbst bewirtschaftete. Der Landadel war zwar gesellschaftlich unterhalb des Adelsstandes angesiedelt. Ihre ökonomischen Grundlagen waren aber oftmals ebenso groß wie die des Adels. Manche Landadlige waren sogar reicher als sie. Es war alleine aus wirtschaftlichen Beweggründen nicht unüblich, dass ein Landadliger in eine Adelsfamilie einheiratete.
Unabhängig von einem adligen Titel bekamen Großgrundbesitzer die Rechte eines „Lord of the Manor“. Der Titel bedeutet so viel wie „Gutsherr“. Ein „Manor“ ist ein Gut, vergleichbar mit den Gütern in Deutschland. Die Residenz des Landlords wird als „Manor House“ bezeichnet, das Gutshaus oder Herrenhaus. Das Land und der gesamte Besitz wurden vom Landlord an den erstgeborenen Sohn vererbt. Töchter und jüngere Söhne wurden ausbezahlt, zumeist aber mit relativ wenig Geld oder Vieh.
Das meiste Land der Güter wurde von den Landadligen an Bauern verpachtet. Sie selbst machten oftmals Karriere in der Politik oder im Militär. Die jüngeren Söhne stellten einen hohen Prozentsatz der Geistlichen im Klerus, der Offiziere im Militär und der Rechtsanwälte. Der Niedergang des Landadels begann um 1870 mit der großen Landwirtschaftskrise. Trotzdem gibt es auch noch heute viel erblichen Landadel.
Es gab schätzungsweise zwischen 25.000 und 65.000 Manors. Im Vergleich dazu gab es aber nur etwa 12.000 bis 15.000 Kirchengemeinden. In vielen Hunderten von Dörfern im ganzen Land sind neben den Kirchen bis heute die Manor Houses die ältesten und bedeutendsten Gebäude. Selbst wenn sie als Hotels dienen oder nur noch in Ruinen vorhanden sind, haben sie für die englische Dorfbevölkerung bis heute eine große historische Bedeutung.
Im Laufe der Zeit wurde der Begriff „Landadel“ verwässert. Auch Adlige mit viel Landbesitz ließen sich auf ihren Gütern nieder, etwa der Duke of Westminster. Bis ins späte 19. Jahrhundert kauften häufig auch reiche Bürger Ackerland mit dem Ziel, sich und ihre Familie als Landadel zu etablieren. Dann kam es zwischen 1873 und 1896 zur großen Wirtschaftskrise in der britischen Agrarkultur.
Die Krise begann mit dem dramatischen Verfall der Getreidepreise. Denn in Amerika wurde nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 massiv Getreide angebaut, das mit den neuen Dampfschiffen schnell und preiswert nach Europa transportiert werden konnte. Gleichzeitig kam es im Vereinigten Königreich hintereinander zu mehreren Dürren mit Ernteeinbrüchen.
Neue Technologien machten sich ebenfalls direkt bemerkbar. Die Erfindung der Tiefkühlung ermöglichte beispielsweise den Transport von preiswertem Fleisch aus Australien, Neuseeland und Südamerika. Der britische Markt für landwirtschaftliche Produkte brach ein und die Regierung verpasste es, rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Der Brexit und der Klimawandel
Die britischen Landwirte leiden unter dem Klimawandel ebenso wie die deutschen. Die Niederschläge verändern sich. Sie bleiben aus oder gehen in anderen Landesteilen nieder. Es ist insgesamt wärmer und die anzubauenden Getreide- und Gemüsearten müssen an die neuen klimatischen Verhältnisse angepasst werden. Es kommt öfter zu Ernteeinbußen aufgrund von Trockenheit und Dürreperioden.
Der Brexit macht sich vor allem in den ländlichen Gebieten bemerkbar. In Wales beispielsweise hat die Schafzucht die wichtigste wirtschaftliche Bedeutung. Niedrige Preise und schwieriges Terrain sorgen dafür, dass die sowieso schon kleinen Höfe nicht profitabel wirtschaften können. In den Hügeln und Hochebenen im Nordosten des Landes sind eine Landkonzentration und die Schaffung größerer Höfe nicht möglich.
Größere Konkurrenz aus dem Ausland bedeutet für viele kleine walisische Landwirte den wirtschaftlichen Tod. Es werden viele Arbeitsplätze verlorengehen. Im ländlichen Wales ist aber jetzt schon ein Viertel der Bevölkerung von Armut betroffen. Die Landschaft mag noch so idyllisch sein. Das Landleben bedeutet für viele Menschen mittlerweile wieder ein Kampf ums wirtschaftliche Überleben.
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05.05.2024
Henrik aus Wien
5,0
Danke für den informativen artikel
Super Artikel. Danke
15.08.2022
J. Bruhin aus Schübelbach CH
5,0
Landwirtschaft england
Hervorragender Beitrag! Einmal mehr Fakten, welche nachdenklich machen müssen!! Das Durchschnittsalter der farmer 60 jahre… was kommt da nach??? Über 70 Prozent vo uk sind lN und aus dieser enormen Fläche wird gerade mal 1 Prozent des BIP erwirtschaftet…. Geld verdient man so wies aussieht nur noch mit Dienstleistungen und sicher nicht mehr mit der Produktion von Nahrungsmitteln. Das werden unsere nachfahren irgendwann mal bitter büssen…